„Betteln ist erlaubt! Rechte – Informationen – Unterstützung“ heißt ein Ratgeber für bettelnde Menschen und UnterstützerInnen, den die Bettellobby Tirol, der Verein für Obdachlose, die Initiative Minderheiten Tirol und FREIRAD, das Freie Radio Innsbruck der Öffentlichkeit präsentieren. Der neue Ratgeber liegt in sechs Sprachen vor, in deutsch, englisch, rumänisch, ungarisch, bulgarisch und slowakisch. Die Broschüre informiert über Rechte von bettelnden Menschen, über das, was erlaubt ist und was verboten ist, über konkrete Hilfsangebote und Anlaufstellen in Innsbruck, veranschaulicht mit einem Stadtplan.
Zum Ratgeber geht es hier
Dass Betteln erlaubt ist, hat der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH) 2012 in einem wegweisenden Urteil klargestellt. „Der VfGH betont, dass es zulässig ist, im öffentlichen Raum auf eine persönliche Notlage aufmerksam zu machen und um finanzielle Hilfe zu bitten“, unterstreicht der auf Grundrechtsfragen spezialisierte Grazer Rechtsanwalt Ronald Frühwirth beim Pressegespräch in Innsbruck. Der Hinweis auf die Notlage könne laut VfGH durch eine Geste, ein Schild oder durch persönliches Ansprechen anderer Personen erfolgen, so Frühwirth. Der Landesgesetzgeber dürfe nur bestimmte, als unerwünscht angesehene Formen des Bettelns untersagen. In den meisten Bundesländern ist sogenanntes aggressives, organisiertes oder gewerbsmäßiges Betteln verboten. Allerdings führten die meist schwammigen Formulierungen der Landesgesetze zu erheblichen Auslegungsschwierigkeiten bei Polizei und Gerichten, so Frühwirth. Die Praxis zeigt etwa, dass Polizeibehörden bereits bei mehrmaligem Betteln einer Person von „Gewerbsmäßigkeit“ ausgehen; dies sei aber durch den Kriterienkatalog des VfGH nicht gedeckt. Frühwirth hält auch das ‚sektorale‘ Bettelverbot in Innsbruck für nicht zulässig: „Das ‚sektorale‘ Bettelverbot verstößt meines Erachtens klar gegen verfassungsrechtliche Bestimmungen, zumal es sachlich nicht gerechtfertigt ist“.
Elisabeth Hussl von der Bettellobby Tirol kritisiert: „Das Grundrecht auf Betteln wird mit verschiedensten Verboten eingeschränkt, um Armut aus dem öffentlichen Raum und aus dem Blickfeld zu verbannen“. Der neue Ratgeber soll auch dazu dienen, dieses Grundrecht ernst zu nehmen, anzuerkennen und zu schützen, so Hussl. Denn der Vollzug sei etwa in Tirol oft streng, die Strafen oft willkürlich. „Die Broschüre enthält daher auch Handlungsanleitungen für bettelnde Menschen“: Was kann ich tun, wenn ich eine Strafverfügung bekomme? Wie läuft ein Verwaltungs-strafverfahren ab? Was ist dabei zu beachten? „Der Ratgeber informiert zudem über Rechte bei Polizeikontakt“, so Hussl: das Recht, eine Vertrauensperson zu kontaktieren, das Recht auf eine Dolmetscherin bis hin zu Tipps, wenn man sich unverhältnismäßig behandelt fühlen sollte. „Der Ratgeber soll zu Solidarität ermutigen und zum Abbau von Ängsten und Unsicherheiten beitragen“.
Franz Wallentin, Streetworker im Verein für Obdachlose in Innsbruck verweist auf die Unterstützungsangebote in Innsbruck, auf Einrichtungen, die rechtlich und sozialarbeiterisch beraten, bei Behördengängen begleiten, medizinische Hilfe bieten, wo man Essen erhält, sich waschen kann, sich aufhalten. „Der Ratgeber, den wir auf der Straße verteilen können, ist für uns Sozialarbeiter ein wichtiges Arbeitsinstru-ment. Mit dieser Broschüre, mit Information und Aufklärung, wollen wir aktiv Diskri-minierung entgegenwirken – in der Hoffnung, dass es damit zu differenzierten Sicht-weisen kommt und zu mehr Solidarität in der Bevölkerung“, sagt Franz Wallentin.
Markus Schennach, Geschäftsführer von FREIRAD, dem Freien Radio Innsbruck und Lisa Gensluckner, Geschäftsführerin der Initiative Minderheiten Tirol, wollen mit ihrer Unterstützung und ihrem Mitwirken als Kultur- und Bildungsorganisationen einen Beitrag leisten gegen Diskriminierung bettelnder Menschen. FREIRAD, so Geschäftsführer Markus Schennach versuche als Komplementärmedium, jenen Stimme zu verleihen, die selbst obwohl Gegenstand von Debatten kaum zu Wort kommen. Schennach verweist auf das Sonderprogramm aller 14 Freien Radios zu „Armut im Stadtbild. Sichtbar oder versteckt“, bei dem am 15. Juni 2015 auf FREIRAD-Initiative der Diskurs über bettelnde Menschen aus je regionaler Perspektive Thema war. Für FREIRAD sei die Mitarbeit am vorliegenden Ratgeber „ein klares Zeichen der Solidarität“.
Lisa Gensluckner von der Initiative Minderheiten Tirol: „So gut wie nie ist die Rede von den schwierigen Lebensbedingungen, die Menschen als Notreisende dazu veranlassen, betteln zu gehen. So gut wie nie ist auch von Bedingungen die Rede, die sie vor Ort vorfinden“. Betteln werde als Sicherheitsthema und nicht in Zusammenhang mit Armutsbekämpfung und Sozialpolitik diskutiert, so Gensluckner. Mit Besorgnis sei festzustellen, wie sehr die Behauptung von einer ‚Bettel-Mafia‘ wiederkehre, entgegen aller Ergebnisse von Forschungen. Der gesellschaftliche Umgang mit bettelnden Menschen sei auch demokratiepolitisch relevant: Um Hilfe zu bitten, wenn man in Not ist, sei eine freie Meinungsäußerung. „Daher sind bettelnde Menschen genauso TrägerInnen von Grundrechten“.