Ein Gastkommentar von Lisa Gensluckner, Initiative Minderheiten Tirol
Im Jahr 2012 wurde in einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes eindeutig festgehalten, dass „stilles Betteln“ in Österreich erlaubt sein muss. Es fällt unter das für eine Demokratie zentrale Recht auf freie Meinungsäußerung, wenn jemand mitteilt, dass er/sie sich in einer Notlage befindet und auf Hilfe angewiesen ist.
Die neuen Gesetzesbestimmungen im Tiroler Landes-Polizeigesetz (verboten sind: „organisiertes“, „gewerbsmäßiges“, „aggressives“/“aufdringliches“ Betteln und das Betteln unter aktiver Mitwirkung von Kindern) lassen jedoch zahlreiche Ansatzpunkte für die Kriminalisierung von bettelnden Menschen offen. Darüber hinaus wurde auf Gemeindeebene eine Möglichkeit geschaffen, doch noch – über die Hintertür – ein Verbot des „stillen Bettelns“ einzuführen, das so begründet wurde: „Durch Verordnung der Gemeinde kann an bestimmten öffentlichen Orten auch Betteln (…) untersagt werden, wenn aufgrund der Anzahl an bettelnden Personen die Benützung der betreffenden öffentlichen Orte durch andere Personen derart erschwert wird, dass dadurch ein Missstand, der das örtliche Gemeinschaftsleben stört, vorliegt oder unmittelbar bevorsteht.“ Einer solchen Entscheidung für ein zeitlich und örtlich begrenztes Bettelverbot hat ein „Erhebungsverfahren“ vorauszugehen, mit dem ein solcher „Missstand“ zu dokumentieren wäre. In einer Stadt wie Innsbruck, in der viele hunderttausend TouristInnen pro Jahr herzlich willkommen sind, reichte für den Nachweis eines „Missstandes“ bislang die Anwesenheit von durchschnittlich ca. 14 (!) BettlerInnen pro Tag während des Beobachtungszeitraumes aus.
Wo ein Anfang, da kein Ende
Seit dem Beschluss des Innsbrucker Gemeinderates vom März 2015, bei „Gelegenheitsmärkten“ wie Oster- und Weihnachtsmärkten in der Innenstadt ein Bettelverbot zu verhängen, versuchen nun immer wieder andere Städte und Gemeinden in Tirol, diesem „Vorbild“ zu folgen. Bisher erfolglos blieb beispielsweise das Ansinnen des Kufsteiner Gemeinderates, gleich von Mai bis August sowie zusätzlich bei zahlreichen speziellen Anlässen ein Bettelverbot zu verhängen. Erstmals gibt es nun aber auch außerhalb von Innsbruck, im Tourismusort Seefeld, ein zeitlich und örtlich begrenztes Bettelverbot bei Veranstaltungen und Märkten, das vom Gemeinderat Mitte Juni beschlossen wurde.
Interessant ist auch hier wieder die öffentliche Debatte: Der Bürgermeister – von Amts wegen eine Autoritätsperson – „berichtet“ von einem „Riesenproblem“, das in der Tiroler Tageszeitung wie folgend wiedergegeben wird: „Seit dem Winter würden ausländische Bettler mit zwei Kleinbussen gegen 9 Uhr vormittags ins Zentrum des Tourismusortes gebracht. Dort sollen sie dann den ganzen Tag den Dorfplatz belagern, bis sie gegen 17 Uhr wieder abgeholt werden.“ Der Bürgermeister im Wortlaut: „Diese Vorgänge sind gut dokumentiert. Es handelt sich ganz klar um organisierte Bettlergruppen“.
Ewige Wiederholung von Mythen
Politik und Medien verbreiten seit Jahren Vorstellungen der Existenz sogenannter „Bettlerbanden“, „organisierter Bettelei“ oder einer „Bettelmafia“, so als wäre über Betteln viel Geld zu holen. Solchen Mythen ist mit Bildungs- und Kulturarbeit schwer beizukommen, da sie ihre Glaubwürdigkeit auch aufgrund der Positionen der SprecherInnen (z.B. einer Amtsperson) erhalten. Außerdem passen sie oft ins eigene Bild, in eigene Alltagsbeobachtungen: Wenn z.B. bettelnde Menschen gemeinsam anreisen oder aus einem Auto oder Bus aussteigen, Fahrgemeinschaften bilden, sich gemeinsam einen Schlafplatz in der Stadt suchen, das wenige erbettelte Geld einsammeln, um es in Sicherheit zu bringen, oder sich gegenseitig mit einer Wurstsemmel versorgen, sieht der vorgeformte Blick, was das vorherrschende Deutungsmuster anbietet: „organisierte Bettelei“. Wer sich mit den Lebensrealitäten und Sichtweisen der betroffenen Minderheit auseinandersetzt oder sich wissenschaftlich informiert, kann diese Alltagsbeobachtungen anders – als Form der Selbsthilfe – einordnen: Menschen in extremen Notlagen machen das Beste aus ihrer Situation, organisieren sich selbst, reisen in der Regel mit Verwandten und Nachbarn temporär in andere Länder, um ein wenig Geld für die Existenzsicherung zumeist von Familienangehörigen zu erbetteln.
Mit dem Film „Betteln. Menschen. Rechte“ (AT 2015, Regie: Monika K. Zanolin) der Initiative Minderheiten wird versucht, über die Sichtweisen der Betroffenen Mythenbildungen zu entkräften. Letztere legitimieren nicht nur Bettelverbote, sie sind auch ein zentrales Element eines gesellschaftlichen Klimas, in dem schon das Geben zu einem „Problem“ gemacht wird (Wer möchte schon „die Mafia“ mit Geld unterstützen?) und manche sogar zu Anpöbeleien im öffentlichen Raum ermächtigt. Die Künstlerin Petra Gerschner hat genau diese Dynamik in ihrem Sujet thematisiert, das als Beitragsbild für diesen Text verwendet wurde.
Links
Seefeld will Bettelverbot durchsetzen.
http://mobileapps.tt.com/politik/landespolitik/11628486-91/seefeld-will-bettelverbot-durchsetzen.csp
Kurzfilm Betteln. Menschen. Rechte. (AT 2015, 21 Min., Regie: Monika K. Zanolin) – Download