Kommentar der Anderen auf Radio FRO

Ein Kommentar von Thomas Diesenreiter für die Sendung Frozine auf Radio FRO 105.0 MHz am 22.02.2011

In wenigen Wochen, am 10. März, wird der oberösterreichische Landtag über ein Bettelverbot abstimmen. Wenn das Gesetz beschlossen wird, ist es mit Ausnahme des Burgenlands in ganz Österreich verboten, zu betteln.

Nun gibt es viele mögliche Ansatzpunkte für Kritik. Man kann auf die oft beschworenen christlichen Wurzeln unseres Landes hinweisen, die das Prinzip der Nächstenliebe lehren. Man kann darauf hinweisen, dass das Verbieten von Armut diese natürlich nicht abschafft. Man kann darauf hinweisen, dass die rechtsradikalen Kräfte mit der Beschwörung einer ausländischen Bettelmafia einfach ein weiteres Betätigungsfeld für ihre Menschenhetze gefunden haben.

Doch versuchen wir einen Schritt zurück zu gehen, und sehen uns die Sache in einem größeren Kontext an. Armut und Bettelei sind ein notwendiges Produkt des kapitalistischen Systems. Dieses ist darauf angewiesen, seine Subjekte in einen permanenten Wettstreit zueinander zu setzen. Mit der zunehmenden Verschärfung dieses Wettstreits bleiben natürlich immer mehr VerliererInnen am Wegesrand liegen, sogar in jenen Ländern, die die größten Nutznießer des globalisierten Systems des Kapitalismus sind, also bei uns.

BettlerInnen sind offensichtliche Zeugen der Ungerechtigkeiten des Verteilungssystems unseres gesellschaftlichen Reichtums. Sie zeigen, dass unser System eben NICHT ideal funktioniert, anders als uns durch die Macht der Medien vermittelt wird. Die Bettelei ist ein wachrüttelnde Erinnerung daran, dass es unabdingbar ist, über ein besseres und gerechteres System nachzudenken.

Wer bettelt, arbeitet nicht. Er ist nicht produktiv im Sinne des Systems, er funktioniert nicht – und doch ist er. Der Imperativ der Arbeit gilt nur der Erhaltung unseres ungerechten Systems. Wir geben für die Arbeit unsere Freiheit auf, weil uns Freiheit als Folge unserer Arbeit versprochen wird. Und diese unbequeme Wahrheit wollen wir nicht wahrhaben, wir wollen uns unsere Unfreiheit nicht eingestehen. Wir konstruieren das Bild von organisierter Bettelei, um unseren Unbehagen gegenüber den BettlerInnen ein moralisches Deckmäntelchen über zu werfen.

Unsere Gesellschaft sieht deswegen lethargisch zu, wie wir die Schwächsten unter uns ausgrenzen, weil wir sie nicht sehen wollen. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass wir selbst von einem Tag auf den anderen einer von ihnen sein könnten, weil wir nicht mehr funktionieren – im Sinne des Systems. Wir wollen nicht daran denken müssen, dass wir eines Tages selbst zu Bettelei gezwungen sein können und dann selbst die Ungerechtigkeit des Systems ertragen müssen. Jenes Systems, das wir als gerade-noch NutznießerInnen mit unser Arbeit jeden Tag mittragen und mitverantworten. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass es in unserer Hand liegt, das System, unsere Gesellschaft und uns selbst zu ändern.

Wir müssen entschieden gegen das Bettelverbot auftreten: Nicht nur aus moralischen Beweggründen. Nicht nur aus sozialen Anliegen. Nein, wir müssen uns bewusst machen, dass Armut ein integraler Teil unseres Systems ist – und das es dieses System zu ändern gilt.

Shoppen ohne Lazarus

Ein Text von Barbara Coudenhove-Kalergi, erstmals erschienen am 29. März 2010 in der Tageszeitung Der Standard

Alle atmen erleichtert auf, weil Wien nun eine bettlerfreie Stadt ist: Man kann jetzt unbehelligt von Elendsbildern durch die Einkaufsstraßen bummeln. Aber wir sollten uns wenigstens dafür genieren.

Im Lukasevangelium steht die Geschichte vom Bettler Lazarus, der am Ende im Himmel landet, der reiche Mann dagegen, der ihm zu Lebzeiten nichts gegeben hat, in der Hölle. Dieser letztere ist ein Unsriger. Wir geben den Bettlern auch nichts. Im Wiener Landtag wurde dieser Tage ein Gesetz verabschiedet, das analog zu anderen Städten das „gewerbsmäßige“ Betteln in der Stadt verbietet.

„Gewerbsmäßiges Betteln“, im Gegensatz offenbar zu Hobby-Betteln oder Betteln „zur Überwindung einer momentanen Notlage“, wie ein Polizeivertreter im Fernsehen erläuterte, ist gewissermaßen Betteln als Hauptberuf. „Aggressiv“ und „organisiert“ betteln oder betteln mit Kindern oder innerhalb einer Bannmeile um Schulen oder Kirchen darf man ohnehin schon lange nicht mehr, wobei schon bittend ausgestreckte Hände als aggressiv gelten.

In der Wiener U-Bahn gab es vor einiger Zeit eine Lautsprecherdurchsage, die die Fahrgäste aufforderte, Bettlern nichts zu geben. Unbarmherzigkeit, amtlich empfohlen. Folgerichtig sind die knienden oder stehenden Gestalten mit ihren Pappbechern aus der Wiener Innenstadt jetzt vollends verschwunden. Die Saison beginnt, die Touristen kommen, die Bettler sind weg.

Niemand vermisst sie. Denn es stimmt, der Anblick von Armut und Elend stößt uns ab. Er irritiert uns, beunruhigt uns, erweckt Schuldgefühle, Angst und Abscheu. Mein täglicher Weg durch die Bettlermeile im Zentrum der Bundeshauptstadt glich in letzter Zeit einem Slalom. Ich wechselte von einer Straßenseite auf die andere, um das Vorbeigehen an den Bettlern zu vermeiden. Ich hatte eine Gabe für die alte „Bunte Zeitung“-Frau in meiner Straße bereit, aber das war‘s auch schon. Mehr, fand ich, war nicht drin. Ich war als Kind dazu angehalten worden, einem Bettler immer in die Augen zu schauen, wenn man ihm etwas gab, also: ihn als Person wahrzunehmen. Aber eben das fällt uns schwer. Einen Erlagschein ausfüllen, das ja. Aber einen wirklich armen Menschen anschauen? Das halten wir nicht aus.

Das Perfide dabei ist, dass „Kronenzeitung“ und Politik alles tun, um uns in dieser Haltung zu bestärken. Wir sollen ein gutes Gewissen haben, wenn wir die Bettler wegjagen. Fort mit ihnen. Geiz ist geil und Armut ein Vergehen, Gutmensch ist ein Schimpfwort und Hartherzigkeit Bürgerpflicht. „Bettlerunwesen“ – das bedeutet Banden und Mafias, Arbeitsscheu, Selbstverstümmelung, Betrug, geheimnisvolle Bosse mit Mercedes im Hintergrund. Wer weiß, womöglich sind die Bettler gar nicht arm und auf jeden Fall selber schuld an ihrem Unglück. Zwischen Bettler und Verbrecher ist nach dieser Logik kaum ein Unterschied, analog der fließenden Grenze zwischen Asylwerbern und Kriminellen.

Wir sind nur allzu gern bereit, dieser Argumentation zu folgen. Alle atmen erleichtert auf, weil Wien nun eine bettlerfreie Stadt ist. Man kann jetzt unbehelligt von Elendsbildern durch die Einkaufsstraßen bummeln. Aber wir sollten uns wenigstens dafür genieren, der Unbarmherzigkeit auch noch die Selbstgerechtigkeit hinzuzufügen. Bettler Lazarus und sein Gegenbild, der reiche Prasser, lassen grüßen.

 

Chronologie einer Verhetzung

Übernommen von der Bettellobby Wien: https://bettellobbywien.wordpress.com/2011/02/09/chronologie-einer-verhetzung

Die Freiheitlichen in Klagenfurt fordern ein Bettelverbot. Die Kronenzeitung macht Stimmung. In Klagenfurt und Lienz hätten Bettler in Kirchen Gläubige geohrfeigt, schreibt sie im November. Die Polizeibeamten, die dort zitiert werden, sind allerdings unauffindbar. Auch die Anzeigen. Ja selbst die Täter, Zeugen und Watschenopfer. Doch die Geschichte setzt sich fest. In den Köpfen von Politikern und ihrem Wahlvolk. Von Kirchenvertretern und ihren Schäfchen. Bettelverbote werden gefordert –  und Gewalt. (U.G. Aus dem Augustin Nr. 291)

„Auf die Bettelhand steigen“ empfiehlt ein Poster auf krone.at. Auch Knüppel, Arschtritte und Pfefferspray werden da gefordert, um sie gegen Bettler einzusetzen. Der Kärntner Volkszorn kocht über. „Profischnorrer“ aus dem Osten hätten im Klagenfurter Dom Gläubige geohrfeigt und ältere Damen angeschrieen. Auch Dompfarrer Allmaier bestätigt das. Der Pfarrer empfiehlt den Gläubigen, vorsichtig zu sein. So steht es jedenfalls in der Krone. Am 29.11. Drei Tage davor hatte der blaue Klagenfurter Stadtrat Germ einen Antrag auf Änderung des Landessicherheitsgesetzes eingebracht: „Organisiertes“ Betteln sollte an vielen Orten verboten werden.

Weiterlesen

Veranstaltungstipp: Bettelverbot – In Linz kein Platz fuer Arme?

Mi 2. März 2011, 19.00 Uhr
Altes Rathaus, Hauptplatz Linz (Pressezentrum)

Im März werden ÖVP und FPÖ im OÖ. Landtag ein „Bettelverbot“ beschließen. Wachkörper wie der Linzer Ordnungsdienst sollen ermächtigt werden, „aufdringliches Betteln“ zu bestrafen. Doch darf Armut in Linz tatsächlich keinen Platz mehr haben?

Gemeinsam mit ExpertInnen wollen wir kritisch die Hintergründe beleuchten:
– Was wird ein Bettelverbot bewirken, wer ist davon betroffen?
– Wie kritisch sehen Polizei und Sozialvereine das geplante Bettelverbot?
– Sollen die Kompetenzen des Linzer Ordnungsdienstes ausgeweitet werden?

Am Podium:
Mag.a Marion Thuswald – Bettellobby Wien
Mag. Axel Schacht – Streetworker Sozialverein B37
Dr. Walter Widholm – Polizeidirektor Linz

Moderation: Erhard Gstöttner / Oberösterreichische Nachrichten

Wir freuen uns auf Ihr Kommen!
Mag.a Maria Buchmayr, Landtagsabgeordnete
Mag. Markus Pühringer, Gemeinderat