Bettelverbot in Österreich – Eine milde Plage

Ein Beitrag aus der süddeutschen Zeitung vom 23.02.2011 von Michael Frank

Nach Wien und Salzburg hat nun auch die Steiermark ein Bettelverbot erlassen. Der Generalverdacht gegen arme Bettlerbanden treibt nicht nur Juristen und Kirchenvertreter auf die Barrikaden.

Ist ein Mensch, der am Straßenrand kauert und um ein Almosen bittet, dem situierten, rechtschaffenen Bürger unzumutbar? Einst, es ist lange her, waren Bettler in Europa sogar akzeptierte Mitglieder der Gesellschaft, die dem wohlhabenden Rest der Welt, sofern freigiebig, wenigstens zu einem guten Gewissen verhalfen. Nun hat in Österreich nach den Bundesländern Wien und Salzburg auch die Steiermark ein generelles Bettelverbot erlassen. Die Folge ist ein heftiger gesellschaftlicher Disput über Diskriminierung und Pharisäertum.

In der steirischen Hauptstadt Graz demonstrierten kürzlich Hunderte Österreicher; um gegen das Verbot zu protestieren, knieten sie sich in Bettelpose an die Straßenränder der Innenstadt. „Wir haben nie etwas getan. Unsere Sünde besteht darin, dass wir arm zur Welt gekommen sind“, sagte Arpad Lakatos, Bettelveteran aus der Slowakei, der wie viele seiner Landsleute oft nach Graz kam, um Almosen zu erbitten. Und am Rande entlarvte der Disput auch noch die Mär von organisierten Bettlerbanden aus dem näheren europäischen Osten als populistische Propaganda. Gegen die Verbote in Wien und Salzburg – deren Wirksamkeit allerdings als relativ einzuschätzen ist – laufen Beschwerden beim Wiener Verfassungsgerichtshof. Umso erboster sind die Gegner des Verbots, dass der steirische Landtag mit seinem Beschluss nicht auf den Spruch des Gerichts warten wollte. Weiterlesen

Bettelverbot! – Wenn Armutsbekämpfung zunehmend versagt, bekämpft man eben die Armen

Ein Artikel aus der März Ausgabe der Kupfermuckn

Wenige Monate nachdem das »Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung 2010« zu Ende gegangen ist, soll im OÖ Landtag am 10. März ein Bettelverbot beschlossen werden. Der Gesetzesentwurf stellt hinkünftig sogenanntes »aufdringliches Betteln« und das Betteln von Unmündigen unter Strafe:

§ 1a Bettelei: (1) »Wer in aufdringlicher Weise, wie durch Anfassen oder unaufgefordertes Begleiten oder Beschimpfen, um Geld oder geldwerte Sachen bettelt oder von Ort zu Ort oder von Haus zu Haus umherzieht, um so zu betteln, begeht eine Verwaltungsübertretung. (2) Wer eine unmündige minderjährige Person zum Betteln im Sinn des Abs. 1, in welcher Form auch immer, veranlasst oder diese bei der Bettelei mitführt, …«

Bis jetzt war das Sammeln von Geld im OÖ Sammlungsgesetz geregelt, das aber für caritative Einrichtungen wie die Sternsinger oder das Rote Kreuz gedacht war. Mit dem neuen Gesetz sind sicher nicht die unmündigen Sternsinger gemeint, die von Haus zu Haus ziehen. Im Jahr 2010 gab es alleine in Linz 152 Anzeigen wegen Bettelei, im Kulturhauptstadtjahr 2009 waren es sogar 356. Das ergab eine Anfrage des Grünen Gemeinderates Markus Pühringer an Bürgermeister Franz Dobusch. In den Strafverfügungen wird derzeit bei der ersten Übertretung eine Geldstrafe von 100,- Euro (17 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) und im Wiederholungsfall von 300,- Euro (51 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Wobei laut Dobusch die verhängten Geldstrafen zu 100 Prozent uneinbringlich seien.

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Kommentar der Anderen auf Radio FRO

Ein Kommentar von Thomas Diesenreiter für die Sendung Frozine auf Radio FRO 105.0 MHz am 22.02.2011

In wenigen Wochen, am 10. März, wird der oberösterreichische Landtag über ein Bettelverbot abstimmen. Wenn das Gesetz beschlossen wird, ist es mit Ausnahme des Burgenlands in ganz Österreich verboten, zu betteln.

Nun gibt es viele mögliche Ansatzpunkte für Kritik. Man kann auf die oft beschworenen christlichen Wurzeln unseres Landes hinweisen, die das Prinzip der Nächstenliebe lehren. Man kann darauf hinweisen, dass das Verbieten von Armut diese natürlich nicht abschafft. Man kann darauf hinweisen, dass die rechtsradikalen Kräfte mit der Beschwörung einer ausländischen Bettelmafia einfach ein weiteres Betätigungsfeld für ihre Menschenhetze gefunden haben.

Doch versuchen wir einen Schritt zurück zu gehen, und sehen uns die Sache in einem größeren Kontext an. Armut und Bettelei sind ein notwendiges Produkt des kapitalistischen Systems. Dieses ist darauf angewiesen, seine Subjekte in einen permanenten Wettstreit zueinander zu setzen. Mit der zunehmenden Verschärfung dieses Wettstreits bleiben natürlich immer mehr VerliererInnen am Wegesrand liegen, sogar in jenen Ländern, die die größten Nutznießer des globalisierten Systems des Kapitalismus sind, also bei uns.

BettlerInnen sind offensichtliche Zeugen der Ungerechtigkeiten des Verteilungssystems unseres gesellschaftlichen Reichtums. Sie zeigen, dass unser System eben NICHT ideal funktioniert, anders als uns durch die Macht der Medien vermittelt wird. Die Bettelei ist ein wachrüttelnde Erinnerung daran, dass es unabdingbar ist, über ein besseres und gerechteres System nachzudenken.

Wer bettelt, arbeitet nicht. Er ist nicht produktiv im Sinne des Systems, er funktioniert nicht – und doch ist er. Der Imperativ der Arbeit gilt nur der Erhaltung unseres ungerechten Systems. Wir geben für die Arbeit unsere Freiheit auf, weil uns Freiheit als Folge unserer Arbeit versprochen wird. Und diese unbequeme Wahrheit wollen wir nicht wahrhaben, wir wollen uns unsere Unfreiheit nicht eingestehen. Wir konstruieren das Bild von organisierter Bettelei, um unseren Unbehagen gegenüber den BettlerInnen ein moralisches Deckmäntelchen über zu werfen.

Unsere Gesellschaft sieht deswegen lethargisch zu, wie wir die Schwächsten unter uns ausgrenzen, weil wir sie nicht sehen wollen. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass wir selbst von einem Tag auf den anderen einer von ihnen sein könnten, weil wir nicht mehr funktionieren – im Sinne des Systems. Wir wollen nicht daran denken müssen, dass wir eines Tages selbst zu Bettelei gezwungen sein können und dann selbst die Ungerechtigkeit des Systems ertragen müssen. Jenes Systems, das wir als gerade-noch NutznießerInnen mit unser Arbeit jeden Tag mittragen und mitverantworten. Wir wollen nicht daran erinnert werden, dass es in unserer Hand liegt, das System, unsere Gesellschaft und uns selbst zu ändern.

Wir müssen entschieden gegen das Bettelverbot auftreten: Nicht nur aus moralischen Beweggründen. Nicht nur aus sozialen Anliegen. Nein, wir müssen uns bewusst machen, dass Armut ein integraler Teil unseres Systems ist – und das es dieses System zu ändern gilt.